Atreyu666: Erlebnis als Kind. Ich hatte die Schule gewechselt und war erstmal ein Ausserseiter in der Klasse. Irgendwann hat mich ein Lehrer irgendwohin geschickt, damit er in dieser Zeit mit der Klasse reden konnte, ohne mein Beisein.
Da hast Du wahnsinnig viel Glück gehabt. Solche Aktionen von Lehrern können gewaltig nach hinten losgehen.
Bei uns wurde eine Lehrerin nach Beschwerde eines Schülers dafür gefeuert. Der Typ, der mich damals gequält hat, war der Sohn des Vorsitzenden des Fördervereins, der 30% der Einnahmen der Schule ausmachte.
Ich war entbehrlich - die Kohle nicht. Also immer feste druff!
Die ganze Klasse hat mitgemacht.
Also habe ich mich jahrelang durch Fenster aus dem Schulgebäude gestohlen und Um- und Schleichwege genutzt, um auf dem Heimweg nicht zusammengeschlagen zu werden. Oder es wurde angekündigt, meine Schwester zu vergewaltigen.
Bevor ich "fällig" wurde, hatte die Klasse erst jahrelang einen anderen Schüler drangsaliert. Der wurde suizidal und verließ das Gymnasium schließlich ohne Abschluss.
Ich nehme an, da hätten wir uns eben einfach besser "integrieren" sollen?
Atreyu666: Ich weiss nicht, was genau er zu den anderen Kindern sagte, aber danach wollten alle mit mir spielen. Sie haben mich schon fast verfolgt, nur, damit ich in der Pause mit ihnen was mache. Es ist eine schöne Erinnerung und für mich das absolute Beispiel in Sachen "Integration".
Wenn es nur so wäre!
Das ist leider das Gegenteil von dem, was unter "Integration" verstanden wird.
"Integration", nach Vorstellung einer Mehrheit, wäre gewesen, wenn die ortsansässige Gruppe sich gerade NICHT auf Deine Vorstellungen einstellt, sondern DU (und nur Du allein) musst DICH an die Vorstellungen der bereits vorhandenen Gruppe anpassen.
Atreyu666: Man darf einen Ausländer nicht mal mehr für sein gutes Deutsch loben, weil das angeblich ach so diskriminierend ist.
Das habe ich früher auch mal gedacht und widerwillig lernen müssen: Die Leute nennen es "diskriminierend", weil es tatsächlich diskriminierend ist.
Quod usit Iovi non usit bovi. Der Kontext ist entscheidend!
Wenn Du ein Deutschlehrer bist, ist das in Ordnung. Aber zwischen zwei Personen, die sich nicht kennen, ist der entscheidende Satzteil NICHT "Sie sprechen gut Deutsch" sondern "für einen Ausländer".
Beispiel: Meine Nachbarin ist Wolgadeutsche aus Kasachstan. Sie lebt seit 50 Jahren in Deutschland und hat einen deutlich hörbaren Akzent. Sie muss sich gerade unter anderem beleidigen lassen von Leuten die behaupten, sie sei Russin. Ob sie sich nicht schäme und sie solle sich von Putin distanzieren. Integrieren soll sie sich gefälligst. (Wissen schon: Putin, Präsident von Kasachstan.) Die Dame ist als 8-jähriges Mädchen nach Deutschland gekommen, ist deutsche Staatsbürgerin. Heute ist sie eine Bilderbuchoma: etwas untersetzt, dicke Brille, immer freundlich. Die alte Dame war den Tränen nah und sagte: "Egal wie lange Du schon hier lebst, du gehörst nie dazu. In Kasachstan wollen sie mich nicht, sagen ich sei Deutsche. In Deutschland wollen sie mich nicht, sagen ich sei Russin. Ich weiß nicht mehr, wo ich hin soll."
"Sie sprechen aber gutes Deutsch, für eine Ausländerin".
Dabei ist sie wenigstens weiß. Wie "integriert" sich bitte ein schwarzer Mitbürger?
Beispiel 2: Ein altgedienter Qualitätsfischkopp fragte letzte Woche lautstark vor unserem Wohnhaus zwei junge Männer mit, für den Geschmack des Herren, etwas zu dunkel geratener Bräune, ob sie der deutschen Sprache mächtig wären, oder lesen könnten. Sie hätten angeblich etwas falsch gemacht.
Er selbst stand dabei freilich im Halteverbot.
Die beiden "Ausländer" waren Studenten aus Duisburg, geboren in Leverkusen. Für ihre dunkle Hautfarbe können die Herren wenig. "Integrieren" sollen sie sich trotzdem.
Als ich herzu kam - offensichtlich weiß wie ein Weizenbrot - hat der Herr aus dem friesischen Tiefland mir dann sein Leid verklärt, dass die Herrschaften "zu 'uns' kommen und dann einfach machen was sie wollten". Meine Antwort war freilich: "Sind Sie Anwohner dieser Anlage?" Antwort: "Nein". Ergo: "Sehen Sie, diese Herrschaften wohnen hier und zahlen Miete. Ich bin der Eigentümer. Ist schon eine Frechheit, oder? Wenn so Leute die nicht dazu gehören einfach zu 'uns' kommen und meinen uns irgendwelche Regeln verzählen zu müssen."
Möchten die beiden Studenten aus Duisburg wirklich hören: "Sie sprechen gutes Deutsch, für einen Ausländer"?
Letztes Beispiel: Junge Dame Anfang 30, geringfügig dunkler als der deutsche Durchschnitt und damit nicht "integrationsfähig". Schlabberpulli, Jeans.
Was man ihr nicht ansieht: Doktortitel in Physik, Technische Leiterin des Teilchenbeschleunigers eines großen deutschen Instituts und spricht 4 Sprachen fließend. Zuständig für eine mehrere Kilometer lange Elektronenkanone, zerbröselt sie beruflich Atome und untersucht subatomare Partikel. Sie präsentiert ihre Forschungsergebnisse und unzähligen wissenschaftlichen Publikationen auf Konferenzen weltweit. Aber trägt den in Fachkreisen obligatorischen professorial-physikalisch-geprägten Schlabberpulli.
"Ihr Deutsch ist sehr gut, für eine Ausländerin."
Also: eindeutig diskriminierend. Nicht wegen der Freundlichkeit, sondern weil diesen Leuten pauschal unterstellt wird, sie gehörten nicht dazu.
Atreyu666: Alles, was damals gut war, wird heute durch den Dreck gezogen, auch die Integration.
"Integration" war noch nie gut. Wir sagen "Integration", aber meinen damit eine Einbahnstraße. Echte "Integration" verlangt immer Bewegung in beide Richtungen.
Denn wer "integriert" sich da in wen? Die Herrschaften sollen sich "zu uns" integrieren. Wir "absorbieren" die Zuwanderer, bis sie optisch verschwunden sind. Sollen "ordentliches Deutsch" lernen und in der Öffentlichkeit "unsichtbar" werden. Bitte keine Kippa, keinen Schleier, kein Kopftuch, hinduistische Symbole gleich gar nicht. Hetero, Möpse, Flensburger trinken (und behaupten, es zu mögen), Fußball, Kirmes, Schützenverein. "Deutsche Werte", denn wir sind eine "Wertegemeinschaft". Also "wir" = die Westdeutschen, außer Bayern. Die Ostdeutschen gehören nicht dazu und die Bayern sind nicht integriert. Dann gibt es noch die Friesen, die Sorben (das slawische Gebiet erstreckte sich von Rügen bis an die Saale), die deutschen Dänen (Wikinger) aber das sind bekanntlich quasi deutsche Kolonien, da weiß die Mehrheit der Bevölkerung gar nicht so genau, wo die eigentlich liegen. Historisch gesehen sind wir auch noch keltisch und schwedisch. Doch das sind im Gegensatz zu Dänisch, Friesisch und Sorbisch keine offiziellen Landessprachen. Friesland hat bspw. mehrsprachige Straßenschilder.
Von wegen "Integration". Hand aufs Herz, wer spricht hier "ordentliches Sorbisch"?
In Kanada habe ich mir angeschaut, wovor viele Deutsche Angst haben. Diese phöse "Toleranz" und "Überfremdung", "links-grün" und überhaupt. Die arme, weiße Bevölkerung "schafft sich ab".
Wie sieht das in der Praxis aus, so eine abgeschaffte Gesellschaft? Prächtige hinduistische Tempel direkt neben einer Synagoge, daneben eine russisch-orthodoxe Kirche mit Zwiebeltürmchen, katholisch, evangelisch, such-es-dir-aus. Straße runter japanischer Supermarkt, mit Kirschblütenfest, Leute machen Picknick auf dem Rasen und der Rost brennt bei authentischem Ambiente. In Chinatown kannst Du morgens Tai Chi machen und Dich fühlen als wärst Du wirklich dort, wieder einen Block weiter serviert die Schnitzel-Queen alles was die deutsche Küche hergibt bei bayrischer Gemütlichkeit, neben dem tschechischen Lokal mit Gulasch und Dampfknödeln. Und seltsamerweise ist für all das trotzdem genug Platz da. Und keine Sau fragt danach, was oder wer du bist oder wen du liebst, denn alle gehören ganz selbstverständlich dazu.
Das, wovor einige Deutsche schreckliche Angst haben, macht offensichtlich glücklich.
Es ist also möglich, Unterschiede zu zelebrieren, jedwede Herkunft zu akzeptieren, und all das in die eigene Kultur zu integrieren. Das bedeutet aber, dass man die eigene Kultur nicht als etwas begreift, was im Mittelalter einmal in Stein gemeißelt wurde und sich anschließend nie wieder an die Realität anpassen darf.
Wenn sich die Realität mit all ihren Farben und Facetten in eine schwarz-weiße Utopie integrieren soll, dann kann das in der Praxis nicht funktionieren.